Fotografie ist Zauberei!

Sir Arthur Clarke, dem britischen Physiker und Science-Fiction-Autor, dessen Zusammenarbeit mit Stanley Kubrick wir “2001 – Odyssee im Weltraum” verdanken, wird der Satz zugeschrieben „Jede hinreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden.“

In grauer Vorzeit, als die Digitalfotografie gerade erst begann, als Möglichkeit in den Köpfen zu spuken (vor ca. 15-20 Jahren), verdiente ich eine Zeit lang mein Geld damit, dass ich Bücher über Fotokameras korrekturlas. putte_swAlso entwickelte ich ein gewisses berufliches Interesse für Fototechnik.

Was mich am “digital turn” in der Fotografie von Anfang an fesselte, war, mit welcher Geschwindigkeit fotografische Möglichkeiten sich plötzlich weiterentwickelten. Damals fragte ich mich “ist das nicht symptomatisch für die Beschleunigung der technologischen Entwicklung allgemein? Was man zu ihrer Beschreibung bräuchte, wäre statt Büchern ein schnelleres Medium, mit dem die Veränderungen ohne Verzögerung kommentiert werden könnten.” Und seltsam, als die “alten” Medien nicht mehr Schritt hielten, stand es bereit. Wenn Sie das hier lesen, nutzen Sie es gerade…

Auf die Fotografie bezogen: In einer nicht-industriellen Gesellschaft wäre sie undenkbar. Anders herum stimmt’s aber auch, und das machen wir uns nur selten klar – ohne Fotografie wären die wissenschaftlichen Durchbrüche und technischen Errungenschaften des 19. und 20. Jahrhunderts niemals möglich gewesen. Von ihrer offiziellen Erfindung durch den Franzosen Nicéphore Nièpce im Jahr 1826 bis zu heutigen CMOS-Bildsensoren illustriert die Geschichte der Fotografie die Entwicklung der Industriegesellschaft in der denkbar umfassendsten Bedeutung des Wortes. park_sepiaSie liefert die Bilder, die uns die Veränderung der Welt bezeugen. Sie dient dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt seit je in ungezählten Experimenten als Instrument der Erkenntnis.

Und sie wandelt sich selbst mit ihm: Die Möglichkeiten einer Epoche zur Herstellung und Vervielfältigung von Bildern (und von Geräten, die das können!) verraten unmittelbar ihren technologischen und wirtschaftlichen Stand.

“Die Industriegesellschaft”, heißt es, beginne mit der Erfindung der Dampfmaschine. Die Fotografie wurde jedoch nicht 1788 erfunden, sondern erst ein ganzes Lebensalter später um 1830 (zugleich mit der Eisenbahn, die sie in den Hauptstädten Europas verbreitete): Sie braucht entwickelte wissenschaftlich-technische Grundlagen. park_swDoch als sie erst einmal erfunden war, war der Fortschritt fotografischer Verfahren und jener in Wissenschaft und Technik nie mehr voneinander zu trennen. Und weil sie so miteinander verschmolzen sind, ist es nur folgerichtig, dass mit der Digitalisierung unserer Lebenswelt auch unsere Bildproduktion digital wird.

Ende des 20. Jahrhunderts findet die Fotografie im althergebrachten Sinn ein Ende, indem sie ein Bestandteil der Informationstechnologie wird. Das klingt zunächst absurd. Schließlich wurde nie derart viel fotografiert wie heute. Tatsächlich kann gesagt werden, dass sie als „Gebrauchsweise“ ungeahnte Höhenflüge erlebt.

Fotografische Bilder sind weiterhin, was sie immer waren: Beweismittel, Kontrollinstrumente, Erinnerungsstützen und auch Kunstwerke. Da sie erfolgreich auf ein neues technisches Fundament gestellt werden konnten, die elektronische Datenverarbeitung, sind sie so leicht herzustellen und zu verbreiten wie nie zuvor. “Fotos machen” ist zu einer Funktion unter vielen einer ganz neuen Klasse technischer Geräte geworden, die sich binnen nur zehn Jahren rasant auf der ganzen Welt verbreitet hat: Batteriebetriebene Kleinstcomputer, mit Mikrophon, Lautsprecher und kompletter Kamera, die sich per Funk Unmengen von Daten schicken können und ebenfalls funkgestützt mit stationären Rechnern Kontakt aufnehmen, die, ihrerseits alle miteinander vernetzt, jede beliebige Information vorrätig halten und an diese Kleinstcomputer senden.

So formuliert, klingt, was sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten zugetragen hat, doch ziemlich aberwitzig.

Es ist jedenfalls eine Umwälzung (Revolution), die wir heute tatsächlich noch nicht begreifen können: Telefonieren, den Weg weisen lassen, Fotografieren, Musik hören, Filme drehen, Texte schreiben, Bücher lesen, Musik machen, Bankgeschäfte tätigen, Briefe schreiben, einkaufen, Zeitung lesen, Fernsehen, die Gesundheit checken – all das und noch viel mehr machen wir mit einem Ding, das typischerweise halb so groß ist und doppelt so schwer wie eine Tafel Schokolade. Nein, ein Smartphone ist kein Fotoapparat, aber Bilder machen, aufbewahren, versenden kann es in höherer Qualität als jede Kleinbildkamera!

Das Ergebnis dieser totalen Vernetzung von allem mit allem ist wirklich nahe dran an Zauberei.

Womit wir bei Sir Clarke wären und seinem Diktum. Zwar haftete auch der “nichtvernetzten”, der chemischen Fotografie schon immer etwas Magisches an. Wer einmal zusehen konnte, wie in einer rötlich schimmernden Dunkelkammer putte_sw_negativaus dem Nichts ein Bild auf einem weißen Blatt erscheint, weiß was ich meine.

Nur, dass wir heute alle digital fotografieren und Dunkelkammern aussterben. Die aktuelle Runde der Magie besteht darin, mit einem Fingertippen etwas aufnehmen und es mit zwei, drei Wischgesten ohne Zeitverzug um die Welt schicken zu können. Schwupps. “Bing”. Fertig. Und dass die Fotografie, die ja noch niemals harmlos war, mit ihrer Einbindung in jene weltweite Superstruktur namens Internet eine neue Rolle erhält, die wir ebenfalls noch gar nicht begreifen können, weder im Schlechten, noch im Guten. Wir können uns zwar damit trösten, dass die Zusammenhänge zwischen Blende, Belichtungszeit, Objektivbrennweite und Sensor- oder Fimgröße immer noch dieselben sind wie seit eh und je. Aber “der Rest”? Spannende Fragen: Wie viele Fotografen ziehen unbewusst die Kamera dem Handy vor, weil das wenigstens den Anschein der altbekannten Tätigkeit aufrecht erhält? Und die Unmengen Smartphone- Fotos, die per App auf Alt getrimmt werden – geschieht dies vielleicht aus einem unbewussten Bedürfnis, den Bilddateien etwas von Charakter „echter“ Fotografie einzuhauchen? Selbstverständlich sind auch die auf „Alt“ getrimmten Fotos in diesem Beitrag Beispiele für am Rechner manipulierte JPG-Dateien.

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Denn auch ich fotografiere längst digital. Meine Urlaubsfotos, Familienbilder und die wenigen Fotos, die ich um ihrer selbst willen anfertige, sind im Allgemeinen besser als zu den Film-Zeiten: weil die nutzbaren Empfindlichkeiten viel viel höher sind als früher, die Zahl der Pixel im Sensor die der Silberkörnchen auf Film längst übertrifft (liebe Fachleute, entschuldigt diese extrem saloppe Ausdrucksweise) und die Erfindung der Bildstabilisierung händische Belichtungszeiten erlaubt, die zu Film-Zeiten niemals denkbar waren.

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Dafür benutze ich bewusst kein Smartphone. Ich ziehe zum Fotografieren jene etwas andere Art Kleinstkomputer vor, die euphemistisch immer noch Kamera genannt wird und sich vom Smartphone in erster Linie dadurch unterscheidet, dass sie traditionell gestaltete Formen und Bedienungselemente aufweist. Aber auch dieser Kleinstkomputer, so traditionell er sich gibt, ist Teil einer die Welt umspannenden Informationstechnologie, in die die Erfindung von Monsieur Nièpce sich in dem Augenblick eingliederte, als sie seinen ureigenen Beitrag, die chemische Grundlage zur Bildspeicherung, hinter sich ließ. Nièpce, er ruhe in Frieden.

Wir Heutigen müssen die Technik nicht mehr begreifen, können es auch längst nicht mehr. Sie funktioniert trotzdem. Faszinierend.

Magie eben.

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Wir sollten durchaus ein wenig Acht geben.

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