Endlich sind wir umgezogen. Nette Nebenstraße, verkehrsberuhigt. Reihenhaus, kleiner, hübscher Garten, Terrasse mit Mittagssonne… schön. Die Nachbarn solide, ruhig und liebenswürdig. Ja, man fühlt sich hier wohl.
Aber. Der. Fluglärm.
Mit welchem gottverdammten Recht wird einem von morgens 10 vor fünf bis 20 nach elf nachts so ein bösartig an- und abschwellendes Dauerheulen zugemutet? Mit minütlichen Lautstärke-Spitzen um 70 Dezibel? Wie – ich soll mich nicht so aufregen, anderen geht’s schlimmer?
Ja liebe Mörfeldener. Ihr könnt über unsere Lärmbelastung links vom Rhein vermutlich nur lachen. Aber seien wir doch mal ehrlich: Ihr Mörfeldener, Ihr Walldorfer, Ihr Rüsselsheimer, Ihr wurdet doch schon vor über 30 Jahren verraten & verkauft.
Ich weiß das, denn ich war (ziemlich) von Anfang an bis zum Ende der Startbahn-West- Auseinandersetzungen in der Gegend. Mein Gott, das war in den 80ern. Wie goldig… nicht mal halb so viele Flugbewegungen wie heute…
Und schon damals eine Hölle.
Ihr wurdet vor langer Zeit verkauft. An wen? Nicht zuletzt an uns, Eure Kollegen, Freunde und Nachbarn, die für eine Woche nach Mallorca fliegen, für ein Wochenende nach London, für 199.-Euro Halbpension nach Antalya. Ja, da steckt noch mehr Aufreg-Potential drin, denn wer verdient daran eigentlich noch so viel, dass er seinen Kindern mal ein Eis spendieren kann? Aber hier soll’s um Fluglärm gehen, nicht um Ausbeutung.
Nun, Ihr Mörfeldener, Walldorfer, Kelsterbacher, Rüsselsheimer… wir Nachbarn, Freunde und Kollegen werden langsam ein bisschen nervös. Weil: seit die Nordwest-Bahn eröffnet wurde, sind auch viele Mainzer betroffen, viele Menschen in Rheinhessen. Sie kapieren noch nicht, dass das noch immer nicht alles ist, dass die Fraport in vier Jahren nochmal doppelt so viele Flugzeuge starten und landen lassen will. Und wir links des Rheins dann dank Terminal III (ist schon genehmigt) endlich da ankommen, wo Ihr schon vor 15 Jahren wart. Aber ganz langsam merken sie etwas. Ganz allmählich sagt mal ein Kollege nicht mehr nur “toll”, wenn er hört, dass jemand im Urlaub für vier Tage an die Costa Brava gedüst ist. Sondern denkt kurz daran, wie er seit einiger Zeit trotz des schönen Wetters jeden Morgen um 5 vor fünf schlaftrunken ans Fenster wankt und es fest schließt, genervt und gereizt. Und dann doch bis zum Aufstehn halb sechs nicht mehr schlafen kann. Und den ganzen Tag über müde und schlecht gelaunt ist. Und den nächsten. Und die darauf folgenden auch. Bis der Wind mal dreht auf westliche Richtungen, dann trifft es endlich wieder die in Offenbach und Hanau.
Ganz langsam merken wir auch hier, dass der Flughafen alle betrifft. Zu langsam.
Aber wenn ich dann in meine Weinstube in Kostheim gehe und dort ein Gast (ein netter) mir erklärt, wie er vom ständigen Krach gerädert ist, dass die Region das alles aber leider brauche… tja, dann bin ich doch so perplex, dass mir nix mehr einfällt. Auch nette Leute fallen auf das dumme, Zorn weckende Geschwätz der Fraport, der Lufthansa, der hessischen Landesregierungen (gleich ob die FDP oder die Grünen den Junior machen) herein. Als ob alles Wirtschaftswachstum sich auf “Rhein-Main” konzentrieren müsste! Dabei stöhnen wir hier unisono über hohe Mieten, mangelnden Wohnraum, Verkehrsinfarkt! Während in Nordhessen, der Westpfalz u.s.w. die Menschen in solchen Scharen abwandern, dass dort eine Arztpraxis nach der andern Schule nach dem nächsten Lebensmittelladen geschlossen wird, weshalb die Leute ja auch nach Rhein-Main ziehen, weshalb die… circulus vitiosus.
Hätten die Ausbau-Befürworter wirklich volkswirtschaftliche Gründe, es wäre immer noch schlimm. Aber es geht gar nicht um Wachstum der Wirtschaft. Dann würden sie die Wirtschaft in Nordhessen und der Westpfalz ankurbeln wollen, um Steuern und Sozialabgaben dort zu generieren und unsere Sozialausgaben in diese wirtschaftsschwachen Gebiete zu verringern. Nein, es geht nicht um Volkswirtschaft, gar um “Nutzen für alle”. Das behaupten sie nur.
Es geht um knallharte, egoistische, a-soziale betriebswirtschaftliche Erwägungen – zu Lasten volkswirtschaftlicher Rationalität. Darum, dass nicht ein Unternehmen, sondern politische Institutionen, das Bundesland Hessen und die Stadt Frankfurt, Betriebs- vor Volkswirtschaft stellen. Und mit einer Macht durchsetzen, die sogar die eines Großunternehmens von Fraport-Volumen noch übertrifft – weil sie alle fünf Jahre durch Wahlen legitimiert wird. Es geht um das Versagen der Politik. Nicht etwa gegenüber “der Wirtschaft”. Sondern bei ihrer zentralen Aufgabe, unterschiedliche Interessen politisch abzuwägen.
Solche Gedanken gehn mir durch den Kopf, wenn ich Leute wie unsere nette Kostheimer Weinstuben-Bekanntschaft reden höre.
Und dann? Geh ich heim und ärgere mich, dass ich das alles zwar weiß, aber keine Ahnung habe, wie ichs vermitteln soll.
Und dass wir mit Argumenten gegen diese, ach, ich schreib’s nicht, aus Luftfahrtindustrie und Politik eh nix ausrichten, dass es also völlig egal ist, ob ich auf den Mund gefallen bin oder nicht, das machts nicht besser. Wenn dann zur Hilflosigkeit noch die Erfahrung der Arroganz tritt, mit der das Anliegen, den Flugverkehr erträglicher zu gestalten, als bedeutungslos, naiv oder sogar egoistisch (!) abgefertigt wird, dann ist es bis zu diesem Wutausbruch hier nicht mehr weit. Die Überschrift entnahm ich – wörtlich – einem Leserbrief aus der F.A.Z. Der Mann behauptete, die Leute, die den Krach nicht mehr ertragen, seien alle Egoisten, die nur um ihr persönliches Wohlergehen besorgt seien und nicht an die Allgemeinheit dächten.
So gesehen, kann ich mit Recht behaupten, mein Zornausbruch hier war bei Weitem nicht das Dümmste, was zum Thema geschrieben wurde. Denn um die Allgemeinheit geht es längst.