… das klingt aber prätentiös. Ein bisschen was ist dran: ich war neun oder zehn, als meine Eltern mich auf einen Tagesausflug nach Metz mitnahmen, das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Lothringens.
Im Saarland, direkt an der deutsch-französischen Grenze, lebt unsere Verwandtschaft, die wir drei, vier mal jährlich besuchten. Und die Gegend auf der andern Seite, das war Lothringen. Mit Zöllnern und mit lauter Menschen, die nicht schwer zu verstehen waren wie meine Tanten und Onkel, sondern überhaupt nicht. Sehr geheimnisvoll, dieses Grenzland. Als Kinder war es abenteuerlich für uns, die Cousins mit dem Rad von Überherrn nach Merten zu begleiten und der dortigen Dorfjugend oder dem Zoll zu entkommen. Letzterer war berufsmäßig hinter uns her, denn wir nahmen verbotene Feldwege, die andern mochten damals überhaupt keine „boches“.
Und dann kam ich mit den Eltern das erste Mal nach Metz. Dort war „deutsch sein“ schon damals kein Problem mehr, vielmehr: es war nicht so zu spüren. Und ich, der Frankfurter Bub, sah zum ersten Mal bewusst das unzerstört alt gebliebene Zentrum einer großen Stadt.
Und die Kathedrale. Das ist beinahe fünfzig Jahre her und ich habe kaum Erinnerungen daran. Doch an das Erstaunen, das ich im Innern der Kirche empfand erinnere ich mich. Ich glaube, meine bis heute anhaltende Freude an gotischer Sakralarchitektur wurde damals und dort geweckt. In den achtziger Jahren, als Jugendlicher, war ich noch öfter da. Mit dem Fahrrad, ein paar mal dann per Autostop auf meinen Tramptouren durch Frankreich.
Dieses Jahr, kurz vor Ostern, besuchte ich Metz nach bestimmt drei Jahrzehnten das erste Mal wieder, gemeinsam mit meiner Frau. Ich kann nicht behaupten, viel von der Stadt wiedererkannt zu haben. Doch eine Erinnerung stellte sich tatsächlich ein: die an das sprachlose Erstaunen, das ich als Zehnjähriger empfand, als ich zum ersten Mal in eine gotische Kathedrale eintauchte.
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